
Neue “Kollegen” in der Schmerzklinik: Blutegel
Die Therapeuten der Klinik für Schmerzmedizin am Elisabethkrankenhaus haben Verstärkung bekommen: Hirudo medicinalis heißt der neue Kollege, besser bekannt als Medizinischer Blutegel. Die etwa zehn Zentimeter langen wurmartigen Tiere, die an Kopf und Ende über Beißwerkzeuge verfügen, werden etwa zur Behandlung von Arthrose, Rücken- oder Kopfschmerzen, verschiedenen Entzündungen oder Wundheilungsstörungen eingesetzt.
Etwas Ruhe ist notwendig, damit die Blutegel „anbeißen“, erklärt Egel-Experte Dr. Johannes Löser, Anästhesist und Leiter Schmerzzentrum Rhein-Erft in Pulheim-Stommeln, den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie den Pain Nurses, die speziell für die Pflege von Schmerzpatienten qualifiziert sind. Sind die Egel einmal bei der Arbeit, lenkt sie so schnell nichts ab. Zwischen 30 und 90 Minuten saugen die unscheinbaren Egel, werden dabei bis zu 15 Zentimeter lang und fingerdick. „In dieser Zeit trinken sie etwa zehn bis 15 Milliliter Blut“, sagt Dr. Löser und macht auf die kleinen Kontraktionen der Egel aufmerksam. Vier Tierchen hat er Selma Dikmen rund um ihr rechtes Knie angesetzt. Für die Arthrose-Patientin ist es die erste Egel-Behandlung, doch große Überwindung hat es sie nicht gekostet. „Als kleines Mädchen habe ich beobachtet, dass meine türkische Oma gegen ihre Schmerzen Blutegel angewendet hat“, erklärt sie. Die Aufgeschlossenheit dieser Therapie gegenüber ist offenbar insgesamt recht groß. „Es ist eher selten, dass ein Patient die Blutegel-Behandlung beispielsweise aus Ekel vor den Tieren ablehnt“, berichtet Dr. Margaret Schönewolf.
Wie fühlt es sich nun an, wenn Blutegel am eigenen Bein ihren Durst stillen? Selma Dikmen winkt ab: harmlos. „Wie ganz feine Nadelstiche oder ein leichtes Vibrieren“, versucht sie die Empfindung zu beschreiben. „Zu Beginn der Saugphase entsteht ein leichtes Stechen und Brennen, vergleichbar mit einer Brennessel, das aber innerhalb einiger Minuten nachlässt“, ergänzt Dr. Margaret Schönewolf.
Derweil sind die Blutegel fleißig und sondern eine wässrige Flüssigkeit ab. „Das ist das Blutplasma, die Egel verwerten nur die Blutzellen“, klärt Dr. Johannes Löser auf. Er hat für Selma Dikmen eine ermutigende Prognose: „Bereits morgen werden Sie aufstehen und weitgehend schmerzfrei gehen können“, meint er. Zwischen drei und sechs Monaten sollte die Schmerzfreiheit oder zumindest eine deutliche Schmerzreduktion seiner Erfahrung nach anhalten, möglicherweise sogar bis zu einem Jahr. Nach nur einer Behandlung.
Doch was genau spielt sich überhaupt ab? „Das Geheimnis des Erfolges einer Behandlung mit Blutegeln liegt im Speichelsekret der Tiere“, erläutert Dr. Margaret Schönewolf, „während sie trinken, geben sie entzündungshemmende Stoffe ins Blut ab. Wer auf Diclofenac oder Ibuprofen positiv reagiert, der hat auch gute Chancen, dass die Egel-Therapie anschlägt. Nur diese hat deutlich weniger Nebenwirkungen!“ Blut- und Lymphstrom werden angeregt, der Speichel wirkt blutreinigend, entstauend und entgiftend. Durch den Einfluss auf die Innenwand von Blutgefäßen und auf bestimmte Blutkörperchen kann einer Blutverklumpung vorgebeugt werden, bereits bestehende Blutklümpchen können sich auflösen.
„Wie entfernen wir die Blutegel, wenn sie fertig sind?“ „Was ist, wenn ein Patient während der Behandlung zur Toilette muss?“ „Wie oft muss der Verband gewechselt werden?“ Die Pain Nurses Brigitte Aengenheister, Sabine Conrads und Cora Mertens haben noch viele Fragen, die Dr. Johannes Löser ihnen geduldig beantwortet. Die Haut muss frei von Duftstoffen wie Parfüm, Duschgel, Salben oder Rasierwasser sein, „sonst beißen die Egel schlecht“. Blutverdünnende Medikamente sind unbedingt drei Tage vor der Behandlung abzusetzen. Und die Blutegel lassen los, sobald sie satt sind, und können dann einfach aufgesammelt werden. Übrigens: Natürlich stammen die Egel, die für die Schmerztherapie eingesetzt werden, aus einer speziellen Zucht und gelten darum als Medizinprodukt.